„Sind um unser Leben gerannt“: Pläne eines deutschen Unternehmens führen zur Vertreibung von 4000 Menschen
Stand:21.06.2024, 07:04 Uhr
Von: Tobias Schwab
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Haben ihr Land verloren: Kleinbauern und -bäuerinnen bei einer Versammlung in Mubende. © Fian
Die Bundesregierung soll sich für die Entschädigung von Kleinbauernfamilien in Uganda stark machen. Bis zu 4000 Menschen wurden vertrieben, um Platz für ein Projekt der Hamburger Neumann Kaffee Gruppe zu machen.
Uganda – Auch mehr als 20 Jahre nach der Vertreibung von ihrem Land zugunsten einer Plantage der Hamburger Neumann Kaffee Gruppe (NKG) kämpfen Kleinbauern und Kleinbäuerinnen aus Uganda noch immer um eine angemessene Entschädigung. „Sowohl die Bundesregierung als auch die milliardenschwere NKG entziehen sich systematisch ihrer Verantwortung“, kritisiert Cornelia Möhring, Sprecherin für Globale Gerechtigkeit der Linken-Gruppe im Bundestag.
Vertrieben vom eigenen Land – „Wir sind um unser Leben gerannt“
Möhring war Teil einer Gruppe von Bundestagsabgeordneten, die sich jetzt bei einer Reise nach Ostafrika ein Bild von der Lage im ugandischen Distrikt Mubende machen konnte. Dort hätten die Menschen noch immer unter den traumatischen Erfahrungen vom August 2001 zu leiden, wie Peter Kayiira Baleke, Sprecher der Vertriebenen, den deutschen Parlamentarier:innen berichtete.
Rund 170 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Kampala rückte 2001 eine bewaffnete Einheit der Armee mit schwerem Gerät und einem klaren Auftrag an: Vier Siedlungen im Buschland des Distrikts sollten vom Erdboden verschwinden. Die Soldaten fackelten nicht lange, ließen Hütten, Ställe und Felder mit Hirse und Kaffeesträuchern in Flammen aufgehen. Ziegen, Hühner und Kühe wurden abgeschlachtet. „Und uns haben sie geschlagen“, erinnerte sich Bäuerin Deziranta wenige Jahre danach im Gespräch mit der FR. „Wir sind um unser Leben gerannt.“
Bis zu 4000 Menschen, so Kayiira Baleke, verloren damals ihr Hab und Gut. Sie flüchteten in die Wälder, um sich in Sicherheit zu bringen. Die Feuer waren kaum verraucht, da wurde es auf dem Areal der geräumten Siedlungen hochoffiziell ganz feierlich: Ugandas Präsident Yoweri Museveni und NKG-Chef Michael R. Neumann, legten den Grundstein für die 2500 Hektar große Kaffeefarm des deutschen Investors.
Jahrelanges Gerichtsverfahren zermürbt Vertriebene
Die Fläche verpachtete die ugandische Regierung für den Zeitraum von 99 Jahren an NKG. Freies Land, auf dem die Kleinbauernfamilien zum großen Teil seit mehr als zwölf Jahre lebten und ackerten. Das ugandische Gesetz billigt den Siedler:innen damit ein Gewohnheitsrecht zu. Einige der Vertriebenen besaßen sogar offizielle Landtitel.
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In einem langjährigen, zermürbenden Gerichtsverfahren, in dem mehrmals die Richter wechselten, nahmen 258 Klägerinnen und Kläger schließlich im Februar 2022 das Angebot einer Entschädigung durch die ugandische Regierung an. Allerdings ist das Geld bis heute nicht geflossen.
143 weitere Vertriebene, die die Entschädigung für viel zu gering halten, führen die Klage gegen den ugandischen Staat und die NKG seither fort. Am 10. Oktober soll vor dem High Court in Mubende weiterverhandelt werden.
In einer Petition an die deutschen Parlamentarier:innen forderten die Klagenden, sich bei der ugandischen Regierung für einen zügigen Abschluss des „endlosen Verfahrens“ einzusetzen. Außerdem solle geprüft werden, ob die Vertreibung als Menschenrechtsverletzung unter das Lieferkettengesetz fallen könnte.
„Kann die Hände nicht in Unschuld waschen“ – Neumann Kaffee Gruppe als Nutznießerin?
Auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Möhring antwortete das Bundeswirtschaftsministerium, die deutsche Regierung verfolge den Fall seit mehr als 20 Jahren aufmerksam. Die Botschaft in Kampala stehe im Zusammenhang mit dem Konflikt in regelmäßigem Kontakt mit der ugandischen Regierung und mit der die Kaweri-Plantage bewirtschaftenden NKG. Ein Fall für das Lieferkettengesetz und damit Anlass für mögliche Schadensersatzforderungen an das Hamburger Kaffee-Unternehmen ist die Vertreibung der Kleinbauern und -bäuerinnen nach Ansicht des Bundeswirtschaftsministeriums offenbar nicht. In seiner Antwort verweist das Haus Habeck darauf, das Gesetz sei erst seit 2023 in Kraft, der „bezeichnete Sachverhalt“ aber habe sich bereits 2001 ereignet.
„Die Neumann Kaffee Gruppe ist Nutznießerin und baut auf dem Land der Vertriebenen Kaffee für den Export an. Sie kann ihre Hände nicht in Unschuld waschen.“
Gertrud Falk, Fian-Referentin
Für Gertrud Falk von der Menschenrechtsorganisation Fian, die die Vertriebenen von Mubende von Anfang an unterstützt hat, ist der Fall indes längst noch nicht ausgemacht. Das Lieferkettengesetz könne greifen, da die Menschenrechtsverletzungen zum Teil noch immer andauerten beziehungsweise nachwirkten, sagt Falk. Viele der Betroffenen hätten noch immer keinen ausreichenden Zugang zu Wasser und Nahrungsmitteln und könnten die Traumata wegen mangelnder Gesundheitsversorgung nicht verarbeiten.
Falk sieht den Hamburger Konzern, einer der weltweit größten Rohkaffeehändler, in der Pflicht. Dass die ugandische Armee die Menschen vertrieben habe, bedeute nicht, „dass die Neumann Kaffee Gruppe keine Verantwortung für diese schweren Menschenrechtsverletzungen trägt“, ist Falk überzeugt. „Die NKG ist Nutznießerin und baut auf dem Land der Vertriebenen Kaffee für den Export an. „Sie kann ihre Hände nicht in Unschuld waschen.“
4.000 Vertriebene – „absurd“?
NKG wollte sich auf Anfrage der FR nicht zum laufenden Verfahren äußern und verweist auf eine „Chronologie“ der Ereignisse auf der Webseite des Unternehmens. Dort wird die hohe Zahl der „angeblich“ 4.000 Vertriebenen als „absurd“ bezeichnet. Die NKG spricht lediglich von 25 Kleinbauern, zu deren Vertreibung es unglücklicherweise gekommen sei, wofür die NKG aber keine Verantwortung trage. Dennoch habe Neumann ein Hilfsprogramm für die Betroffenen initiiert.
Die NKG-Tochter Kaweri Coffee Plantation stellt sich im Netz als „guter Nachbar“ und „verantwortungsvoller Arbeitgeber“ in der Region Mubende dar, der 500 Menschen in Vollzeit und in der Erntesaison bis zu 2500 weitere Personen beschäftige, zwei Schulen finanziere und Wasserleitungen für die umliegenden Dörfer verlegt habe.
„Allein schöne Worte reichen nicht, um die traumatische Vertreibung der Menschen, die Zerstörung ihrer Häuser und der Kirche zu entschädigen“, sagt Linken-Bundestagsabgeordnete Möhring und fordert: „Die Kaffeebarone aus Hamburg sollen die Vertriebenen aus ihrer vollen Kaffeetasse entschädigen, statt weiter auf das Zeitspiel der ugandischen Behörden zu setzen.“
Von der Bundesregierung verlangt die Linke, einen Entschädigungsfonds für Landvertriebene im Zusammenhang mit deutschen Investitionen im Ausland aufzulegen. Profitieren sollten davon Menschen, deren Ansprüche durch eine unabhängige Kommission in Deutschland bestätigt wurden, die diese aber in der Heimat wegen fehlender Rechtsstaatlichkeit nicht durchsetzen können. Gespeist werden solle der Fonds aus Zinseinnahmen der Bankengruppe KFW, die ja auch Engagements deutscher Unternehmen wie der NKG im Ausland subventioniere.