In Deutschland mehren sich die Stimmen, die unser Ernährungssystem umgestalten und nachhaltiger machen wollen. Viele Menschen interessieren sich wieder stärker für Ernährung und Landwirtschaft und fordern mehr Mitsprache und Demokratisierung unserer Landwirtschafts- und Ernährungspolitik. Auch eine Vielzahl von alternativen landwirtschaftlichen Organisationsformen, Aktionsgruppen, Netzwerken und Kooperationen sind entstanden.
Ein nachhaltiges Ernährungssystem umfasst viele Bereiche, vom Saatgut bis auf den Teller, - und zahlreiche Akteure und Akteurinnen. Viele wichtige Stimmen, die zu wenig gehört und selten an Entscheidungen beteiligt werden – auch beim Globalen Gipfel zu Ernährungssystemen (Food System Summit, UNFSS) der im Herbst von den Vereinten Nationen durchgeführt wird. Bislang deutet wenig darauf hin, dass dieser Gipfel eine Neuausrichtung unseres Ernährungssystems anstrebt. Zu stark dominiert die Privatwirtschaft, zu wenig werden gesamtgesellschaftliche Interessen berücksichtigt.
Ein Welternährungsgipfel für Wen?
Der vierte Welternährungsgipfel hat sich ein großes Ziel gesteckt: eine tiefgreifende Veränderung der weltweiten Landwirtschafts- und Ernährungssysteme, um Armut und Hunger zu bekämpfen, die Biodiversität und das Klima zu schützen. Doch der Gipfel steht unter bedenklichen Vorzeichen. Denn anders als in den Jahren zuvor steht er unter den Vorzeichen einer strategischen Partnerschaft mit dem Weltwirtschaftsforum (WFP), eine Organisation, die die Interessen globaler Unternehmen vertritt.
Wohin die Reise gehen könnte, zeigt sich zudem an der Ernennung von Dr. Agnes Kalibata zur Sondergesandten des Gipfels. Kalibata ist amtierende Präsidentin von AGRA, der Alliance for a Green Revolution in Africa. Eine Initiative, die auf die Förderung von kommerziellem Saatgut, synthetischen Düngemitteln und Pestiziden in Afrika setzt. Das UNFSS Sekretariat spricht von einem Gipfel für und von Menschen, doch die Fahrtrichtung des Gipfels wurde ohne die Stimme der Zivilgesellschaft festgelegt. Nicht einmal der Welternährungsausschuss (CFS), also die UN-Plattform für Ernährungssicherheit wurde erwähnt, geschweige denn von Anfang in die Planung der Veranstaltung involviert. Dabei hatte man während der Nahrungsmittelkrise 2008 erkannt, wie wichtig es ist, lokale, soziale Netzwerke in die Ernährungspolitik einzubeziehen. Daraufhin wurde innerhalb der FAO der Welternährungsausschuss reformiert und mit dem Civil Society Mechanism (CSM) ein funktionierender Beteiligungsmechanismus etabliert.
Von Agrarökologie oder Ernährungssouveränität keine Spur
Die Kritik am Food System Summit ist groß. Es besteht die berechtigte Sorge, dass die Einflussnahme der Privatwirtschaft in allen relevanten Politikbereichen zunehmen wird, das UN-System vereinnahmt und die Rolle der Mitgliedstaaten geschwächt wird. Vor diesem Hintergrund startete der CSM im Dezember 2020 einen eigenen Prozess und rief die Zivilgesellschaft weltweit auf sich zu vernetzen und das wahre Gesicht des Welternährungsgipfels bekannt zu machen. Ihre Botschaft ist deutlich: Mit diesem Gipfel wird es kein Systemwechsel in der Nahrungsproduktion geben. Unser Ernährungssystem muss menschenrechtsbasiert sein und auf den Prinzipien von Ernährungssouveränität und Agrarökologie bauen.
Auch in Deutschland regt sich Unmut. Hier sollen, wie in allen Mitgliedsstaaten, vorab Nationale Dialoge geführt werden. Mit Wem und wann diese Dialoge stattfinden sollen ist jedoch noch nicht bekannt. Zudem ist nicht transparent, wie die Ergebnisse in die Konferenz einfließen sollen. Die beiden federführenden Ministerien, BMEL und BMZ, halten sich bisher sehr bedeckt.
Ernährungssysteme brauchen Demokratie
Anlässlich des Welternährungsgipfels haben die Agrar Koordination, FIAN Deutschland, Inkota Netzwerk, Netzwerk der Ernährungsräte und das Forum Umwelt und Entwicklung einen Dialog gestartet, um mit vielen Akteuren die Zukunft eines nachhaltigen Ernährungssystems zu entwerfen. Im Vordergrund steht die Idee viele Initiativen zusammenzubringen, um Erfahrungen auszutauschen und zu diskutieren. Welche Initiativen funktionieren? Warum? Wo hat die lokale Politik solche Initiativen erfolgreich unterstützt, wo gibt es Barrieren?
Am 16. März fand mit über 90 Teilnehmer*innen der Erste von drei Online-Dialogen statt und zeigte eine bunte Landschaft von Aktiven im Ernährungssystem und viele Themen.
Erfolgsgeschichten von Agrarökologie und Agroforst wurden erzählt. Spannend war der Beitrag von Sebastian Schmidt von FINC und „Unser Land schafft Wandel“ darüber, wie die Landnutzung lokal umgestaltet werden kann und welches Potential öffentliches Land bietet.
Nicolas Barthelmé von der Verbraucherinitiative „Du bist hier der Chef“, zeigte wie Verbraucherinnen ihre Mitbestimmung bei der Preisgestaltung nutzen und ein Dialog zwischen Einzelhandel und Landwirtinnen entstehen kann.
Der Ernährungsrat Berlin brachte mit seinem Projekt „Alle an einem Tisch“ die wichtigen Themen Teilhabe und Ernährungsarmut in den Dialog ein. Gutes und gesundes Essen ist für weite Teile der Bevölkerung nicht erreichbar, sei es aufgrund fehlender finanzieller, sozialer oder zeitlicher Ressourcen.
Doch es gibt noch mehr Gesprächsbedarf, zum Beispiel darüber wie regionale Weiterverarbeiterinnen gefördert werden können und wie man den Dialog mit Landwirtinnen stärken kann.
Der Dialog geht weiter
Der nächste Online-Dialog findet am Mittwoch den 14.04.21 von 17 – 20 Uhr statt, mit Inputs von Prof. Dr. Antonio Andrioli über Erfolge der agrarökologischen Bewegung in Südbrasilien und Prof. Dr. Stefan Selke zu Utopien sind nichts für Weicheier - Ernährung als Element der Zukunfts(mit)gestaltung im offenen Gesellschaftslabor. Sowie bislang folgenden Initiativen: Lea Burwitz von der lokalen Initiative „Siegen isst bunt“, Benjamin Luig von der „Initiative Faire Landarbeit“, Ernährungsrat Münster mit dem Projekt „Münsterländer Bauernbox“ und Slow Food Youth.
Wir freuen uns, wenn insbesondere Landwirtinnen und Landwirte und Aktive aus der handwerklichen Verarbeitung dazu kommen und sich am Dialog beteiligen.
Wer dabei sein möchte, gerne diesen Link für die Anmeldung nutzen: bit.ly/gerecht-gesund-global-april
Die Dokumentation der Online-Veranstaltung vom 16.03.21 findet sich hier: https://www.agrarkoordination.de/projekte/gesundheit-von-mensch-und-planet/dialogreihe-ernaehrungssysteme-mitgestalten/1-veranstaltung-ernaehrung-demokratie/