Liebe Leute, wir freuen uns riesig, das Dan Thy seine inspirierende Keynote auch als Text zur Verfügung stellt.
Für alle, die nochmal lesen und erinnern möchten, mit welcher Energie wir zusammen in das erste Jahresforum starten konnten: Hier kommt der Text.
Tausend Dank an Dan Thy Nguyen dafür - wir freuen uns sehr auf den weiteren Austausch und die künftige Zusammenarbeit!
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Keynote von Dan Thy Ngyuen // zum Jahresforum von hamburg.global // 18.7.2025
6. November 2024, morgens.
6 Uhr. Ich wache auf.
Die Routine beginnt: Brotdosen, Socken, Haare, Schule.
Seit einigen Tagen ist das fluctoplasma-Festival vergangen. Mein Körper: erschöpft.
Aber es ist nicht nur die Müdigkeit nach einem Festival. Etwas anderes hat sich abgelagert. Tiefer. Dicht.
Meine Knochen fühlen sich schwer an.
Und ich frage mich, ob das überhaupt möglich ist. Können Knochen müde werden?
Ich habe immer gedacht, Müdigkeit sei eine Sache der Muskeln.
Aber vielleicht speichern Knochen das, was wir nicht sofort verarbeiten. Vielleicht erinnern sie sich.
Aufwachen.
Nicht nur körperlich.
Auch politisch.
Während ich Kaffee aufsetze, laufen im Hintergrund die Nachrichten.
Noch sind nicht alle Stimmen ausgezählt, aber es ist klar: Donald Trump wird erneut Präsident der Vereinigten Staaten.
Selbst wenn Kamala Harris das Rennen noch auf dem Papier gewinnen sollte – die Realität steht längst fest.
Die Vereinigten Staaten sind politisch zerrissen. Und dieser Riss ist nicht mehr theoretisch. Er ist strukturell, materiell, gefährlich.
Was sich abzeichnet, ist mehr als ein Wahlergebnis.
Es ist ein globales Muster: Wut als Regierungsform.
Der Ton hat sich verändert. Der Hass ist organisiert.
Organisierte Hass mit Macht.
Und dann dieser eine Gedanke, während ich die Brotdosen schließe:
Hoffentlich hat die Ampelregierung genug Anstand.
Anstand, jetzt – in dieser Situation – nicht auseinanderzubrechen.
Wer in Zeiten wie diesen weiter an der Stabilität reißt, reißt nicht nur an Koalitionen.
Er reißt an etwas Tieferem:
Am politischen Vertrauenskern dieser Gesellschaft.
An der leisen Hoffnung, dass Politik überhaupt noch handlungsfähig ist.
Ich erinnere mich an Max Weber.
Politik als Beruf.
War da nicht etwas von Verantwortung, Augenmaß, Leidenschaft?
Ja:
Politische Menschen, sagt Weber, brauchen ein Verantwortungsgefühl für das Ganze.
Und sie brauchen das, was er „Augenmaß“ nennt – die Fähigkeit, Wirkung und Wirklichkeit zu unterscheiden.
Nicht nur zu agieren, sondern Maß zu halten.
Nicht nur zu fordern, sondern die Fähigkeit eigene Entscheidungen tragen zu können.
Ich hoffe, dass davon noch etwas übrig ist.
Genug, um zusammenzuhalten.
Genug, um dem, was gerade global geschieht, nicht nur zuzusehen.
Denn die Wahrheit ist: Wir sind längst Teil eines größeren Zusammenhangs.
Was sich gerade in den USA abspielt, betrifft auch uns.
Die Wiederwahl von Donald Trump ist keine isolierte Episode.
Sie ist – wie der indische Denker Pankaj Mishra schreibt – Ausdruck eines globalen Zustands.
„Der Wunsch nach Zerstörung ist kein Ausrutscher moderner Gesellschaften – er ist ihr integraler Bestandteil.“
Trump hat es verstanden, diese Leere zu adressieren – nicht mit Lösungen, sondern mit Feindbildern.
Er spricht zu denen, die sich abgehängt fühlen, wirtschaftlich oder kulturell.
Zu denen, deren Vorstellung von „Amerika“ durch Diversität, Antirassismus, Globalisierung und Gleichstellung bedroht scheint.
Er bietet ihnen keine Zukunft –
aber er bietet ihnen Schuldige.
In Mishras Logik ist Trump nicht die Ursache.
Er ist das Symptom.
Ein Ausdruck einer Gesellschaft, die ihre eigenen Widersprüche nicht mehr aushält.
Die einen Präsidenten wählt, der Konventionen zerstört, Institutionen demontiert und Sprache verroht –
nicht trotz, sondern wegen dieser Eigenschaften.
Denn der Wunsch nach Zerstörung ist real.
Er speist sich aus einer tiefen Kränkung:
Dem Versprechen von Gleichheit folgte keine Gerechtigkeit.
Dem Ideal von Aufstieg folgte Absturz.
Und in dieser Enttäuschung wird Hass zur Ermächtigung.
Mishra schreibt, wir hätten den Kontakt zu jenen Denker*innen verloren, die den Menschen nicht als vernunftgeleitetes Wesen betrachteten, sondern als widersprüchlich, irrational, verletzlich.
Dostojewski. Nietzsche. Freud.
Stattdessen glaubt die westliche Welt weiter an den Homo oeconomicus,
an Wachstum als Beruhigungsmittel.
Und genau dieses Denken ist in Trumps Amerika implodiert.
Nicht weil es von außen angegriffen wurde.
Sondern weil es von innen heraus mürbe war.
Die Gewalt kommt nicht von außen.
Sie ist ein Produkt dieser Ordnung selbst.
Weil diese Ordnung auf Ausschluss basiert.
Auf Versprechen, die nicht für alle gelten.
Auf einer Logik, die Menschen permanent misst – an Leistung, Anpassung, Verwertbarkeit.
Wer nicht mithalten kann, fällt heraus.
Wer nicht mithalten will, wird verdächtig.
Diese Ordnung sagt: Du bist deines eigenen Glückes Schmied.
Aber sie verschweigt, dass manche gar keinen Zugang zur Schmiede haben.
Sie fordert Eigenverantwortung, aber entzieht gleichzeitig strukturellen Halt.
Sie spricht von Freiheit – meint aber Konkurrenz.
Sie spricht von Demokratie – meint aber Marktlogik.
In dieser Ordnung wird jeder soziale Bruch zur persönlichen Schwäche erklärt.
Und jedes Systemversagen zum Einzelfall.
Aber es sind keine Einzelfälle.
Es sind Muster.
Und diese Muster erzeugen Frustration, Entfremdung, Erschöpfung.
Der Neoliberalismus, so formuliert es Wendy Brown, entpolitisiert die Gesellschaft, entzieht ihr das Gemeinsame – und überlässt das Individuum sich selbst.
Das Resultat ist nicht Freiheit, sondern Vereinzelung.
Und diese Vereinzelung ist der ideale Nährboden für Gewalt:
gegen andere, gegen sich selbst, gegen Institutionen.
Was wir erleben, ist kein plötzlicher Radikalisierungsschub.
Es ist ein langsames, systematisches Verlernen von Solidarität.
Ein Verschleiß der sozialen Bindungen.
Ein Verstummen des Gemeinwohls.
Und aus diesem Verstummen erwächst der Schrei. Erwächst die Wut. Erwächst der Hass.
Ein Schrei nach Ordnung.
Nach Klarheit.
Nach Sicherheit – in einer Welt, die immer komplexer, schneller, widersprüchlicher wird.
Und genau hier liegt das politische Paradox unserer Zeit:
Je stärker die gesellschaftlichen Strukturen ins Wanken geraten –
durch Klimakatastrophe, Angst vor Migration, ökonomischen Druck, digitale Umbrüche –,
desto größer wird die Sehnsucht nach etwas, das Halt verspricht.
Auch wenn es ein trügerischer Halt ist.
In Europa zeigt sich diese Dynamik überall.
In Frankreich, Italien, Österreich, den Niederlanden – und auch hier, in Deutschland.
Die AfD wird nicht trotz ihrer radikalen Rhetorik gewählt.
Sie wird genau deswegen gewählt.
Weil sie ein einfaches Versprechen macht:
Dass alles wieder wird wie früher.
Dass Vielfalt und Veränderung kontrolliert werden können.
Dass es eine Ordnung gibt, die den Namen „Volk“ trägt – und eine Sicherheit, die auf Abgrenzung basiert.
Der Nationalismus ist kein Rückfall in die Vergangenheit.
Er ist eine scheinbare Antwort auf die Zumutungen der Gegenwart.
Er verspricht Identität, wo Komplexität überfordert.
Er verspricht Gemeinschaft, wo der liberale Markt nur noch Individuen sieht
Er verspricht Zukunft aber nur als Belohnung für Gehorsam und Ausgrenzung
6. November 2024, abends.
22 Uhr.
Die Ampelregierung ist auseinandergebrochen.
Am selben Tag, an dem Donald Trumps Wiederwahl feststeht.
Die Hoffnung auf politische Geschlossenheit in der Krise – widerlegt.
Die Regierungsfähigkeit: ausgesetzt.
Ein Machtvakuum entsteht.
Und mit ihm der Raum für autoritäre Antworten.
10. November.
Telefonat mit meinem Onkel aus Kalifornien.
Er freut sich, dass Trump gewonnen hat.
„Wir sind doch Boat People“, sagt er.
„Geflüchtet vor dem Kommunismus. Wir müssen auf der Seite derer stehen, die sich gegen links stellen.
Hast du vergessen, was die Kommunisten uns angetan haben?
Dass sie uns vertrieben haben? Das darf nie wieder passieren.“
Viele in der vietnamesischen Diaspora in den USA sehen die Geschichte genau so.
1975. Der Fall von Saigon. Das Ende der Republik Südvietnam.
Ein Bruch. Ein Verlust. Eine Flucht.
Was folgte, war Neuorientierung in einem Land, das ihnen sagte:
Ihr seid hier, weil ihr vor dem Kommunismus geflohen seid.
Ihr seid der Beweis, dass unsere Seite die richtige war.
So wurde der Antikommunismus nicht nur politisch, sondern biografisch.
Er war Erklärung und Legitimation zugleich.
Er machte aus Flucht eine moralische Entscheidung.
Aus Trauma – Identität.
Diese Haltung prägt bis heute große Teile der Community.
Wer gegen Kommunismus ist, wählt konservativ, republikanisch.
Wer republikanisch wählt, steht für Freiheit.
So die Logik.
Dass Trump nicht für Freiheit steht – sondern für Machtmissbrauch, Rassismus und autoritäres Denken –
passt nicht in dieses Schema.
Denn das Schema kennt nur zwei Seiten:
Kommunismus – oder Amerika.
Auch ich bin einer von denen.
Aufgewachsen als Antikommunist.
Als Kind der Boat People.
Mit Geschichten von Lager, Repression, Umerziehung.
Mit der Warnung, dass „die Linken“ und „Progressiven“ gefährlich sind.
Dass Freiheit nie sicher ist.
Dass alles, was nach Verteilung klingt, mit Kontrolle endet.
Es hat Jahre gebraucht.
Brüche mit der Community.
Brüche mit Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin.
Mit Freund*innen, mit Familie.
Nicht, weil ich wollte – sondern weil es nötig war, um an dem Punkt zu stehen, an dem ich heute bin.
Ich weiß, dass ein großer Teil der vietnamesischen Community in den USA Trump gewählt hat.
Nicht aus Kalkül – sondern aus Überzeugung.
Ich weiß, dass viele Vietnames*innen in Deutschland die AfD wählen.
Still. Leise. Konsequent.
Aus dem Schmerz heraus, verfolgt worden zu sein.
Aus der Erfahrung, die Heimat verloren zu haben.
Aus einem in sich festsitzenden Gefühl nach Vergeltung:
Endlich einmal gegen Kommunisten stimmen zu können.
Endlich auf der Seite der Sieger stehen.
Wenn der Kalte Krieg so tief in der vietnamesischen Community schwingt –
dann will ich nicht wissen, in wie vielen anderen Communities er genauso wirkt.
Oder ähnlich.
Unaufgearbeitet. Weitervererbt. Politisiert.
Hier zeigt sich die Saat des Kalten Krieges.
Und es sind die Rechten, die heute ernten.
Sie müssen nicht überzeugen.
Es reicht, alte Geschichten zu reaktivieren.
Es reicht, alte Ängste zu bestätigen.
Es reicht, das Wort „Kommunismus“ in den Raum zu stellen.
Die dritte Dekade des 21. Jahrhunderts –
sie fühlt sich nicht neu an.
Nicht nach Zukunft.
Sondern nach Wiederholung.
Nach einer Gegenwart und Zukunft, die sich alt anfühlt.
Manchmal denke ich: Ja, vielleicht ist es eine Polykrise.
Aber nicht, weil wir es mit neuen Problemen zu tun hätten –
sondern mit alten Gespenstern.
Ideologien, die nicht sterben.
Ängste, die sich neu formieren.
Feindbilder, die Generationen überleben.
Sie sind da. Kurz vor Mitternacht. Um genau zu sein, diese Geister,
Um 11 Uhr 58 und 31 Sekunden – laut Weltuntergangsuhr im Jahr 2025.
20. November 2024. mittags
Ich bin Künstler.
Ich bin Co-Leiter eines Festivals.
Und aus Berlin erreicht mich die Nachricht,
dass die Berliner Koalition ihre lange angekündigten Sparpläne nun offiziell gemacht hat.
Der Kulturetat wird im kommenden Jahr um 130 Millionen Euro gekürzt.
Das entspricht rund 12 Prozent.
Zwölf Prozent – in der Kultur.
Betroffen sind vor allem jene Bereiche,
die sich mit kultureller Bildung beschäftigen,
mit Jugendprojekten, Sozialen Themen, Diversität, Antirassismus, Dekolonisierung, Nachhaltigkeit.
Gerade die Programme,
die lange als Antwort auf gesellschaftliche Herausforderungen galten –
werden jetzt als verzichtbar markiert.
Manche Initiativen rechnen mit drastischen Einschnitten.
Andere kämpfen mit der Angst, ganz gestrichen zu werden.
Und es bleibt nicht bei Berlin.
In Nordrhein-Westfalen gibt es ähnliche Prozesse.
In Sachsen. In Thüringen.
Täglich führen wir Gespräche mit Kolleg*innen,
mit Trägern, mit Kulturschaffenden,
die nicht mehr wissen, ob sie im nächsten Jahr noch weitermachen können.
Ob sie Mieten zahlen, Teams halten, Strukturen retten können.
Was bedeutet diese Kürzung –
nicht nur finanziell, sondern symbolisch?
Sie bedeutet:
Das, was uns als Gesellschaft zusammenhalten könnte,
steht nicht mehr oben auf der Liste.
Sondern ganz unten.
Kulturelle Bildung.
Arbeit mit Jugendlichen.
Programme für Diversität, für Erinnerung, für Teilhabe.
All das wird nicht nur reduziert –
es wird herabgestuft.
Die Botschaft lautet:
Diese Arbeit ist nachrangig.
Sie ist kein Grundbedürfnis.
Sie ist verzichtbar.
Etwas, das man kürzt,
wenn es eng wird.
Dabei wurde uns jahrelang gesagt:
Kultur ist systemrelevant.
Diversität ist ein Ziel.
Partizipation ist demokratisch notwendig.
Jetzt zeigt sich:
All das gilt –
aber nur, solange es nichts kostet
Aber hier komme ich an den Punkt,
an dem ich immer wieder stoße.
Ich war nie ein Freund dieses Systems.
Ich halte es für rassistisch, patriarchal, kapitalistisch durchdrungen.
Ich habe auf Bühnen gestanden, in meinen Zwanzigern, in meinen Dreißigern,
und gerufen:
Nieder mit den Strukturen.
Mehr Repräsentation.
Das Ende weißer Institutionen.
Und ich stehe noch immer hinter diesen Forderungen.
Hinter ihrer Radikalität.
Hinter ihrem Kern.
Aber gleichzeitig merke ich:
Ich verteidige inzwischen genau dieses System.
Kulturförderung.
Institutionelle Räume.
Den Status quo – so prekär er auch ist.
Ich schreie nicht mehr laut nach Erneuerung.
Ich fordere den Erhalt.
Ich schreie nach Fortbestand.
Nach Weiterfinanzierung.
Und das macht mir Gedanken.
Wann bin ich zu diesem Menschen geworden,
der die bestehenden Strukturen nicht mehr überwinden,
sondern schützen will?
Ist das Pragmatismus?
Oder Anpassung?
Oder schlicht der Reflex, weil die Realität rechts von mir
radikaler geworden ist,
als ich es mir je hätte vorstellen können?
Was bedeutet Widerstand heute –
in einer Zeit, in der Verteidigung progressiv geworden ist?
Wenn das, was früher als Kompromiss galt,
heute schon als Haltung zählt?
Wenn man nicht mehr kämpft, um das Neue durchzusetzen,
sondern um das Wenige zu bewahren,
das noch übrig ist?
Widerstand hieß einmal:
Strukturen stören.
Institutionen in Frage stellen.
Räume öffnen, wo keine waren.
Heute heißt es oft:
Förderzusagen sichern.
Personalstellen verteidigen.
Sicherstellen, dass der Projektträger nicht aufgelöst wird.
Widerstand ist leiser geworden.
Verwalteter.
Formalisierter.
Wie kämpft man für eine gerechte Zukunft,
ohne dabei ungewollt zum Verwalter der Gegenwart zu werden?
20. November 2024. Abends
Heute Abend fragt mich mein Sohn,
der gerade acht Jahre alt geworden ist:
„Papa, was findest du besser – Alphasein oder Sigma?“
Und diese Frage tut weh.
Nicht, weil ich vergessen hätte, wie es ist, ein Junge zu sein.
Sondern weil ich gehofft hatte,
dass mein Sohn in einer anderen Welt groß wird.
Dass ich genug getan hätte,
um diese Welt mitzuverändern.
Dass meine Arbeit einen Unterschied gemacht hat.
Einen Impact.
Etwas Bleibendes.
Ich hatte gehofft, dass ich mehr Zeit hätte.
Ich sage ihm:
Dass das alles nicht wichtig ist.
Dass es wichtiger ist, herauszufinden,
was ihm selbst wichtig ist –
als Mensch.
Ein Satz, den man sagt,
wenn man nichts Besseres weiß,
aber trotzdem etwas sagen muss. Als Elternteil.
Ich versuche, über Männlichkeit zu sprechen.
Über Rollenbilder.
Aber natürlich nicht in einer Sprache,
die ein Achtjähriger versteht.
Und sicher nicht in einer,
in der er sie mir abkauft.
Und vielleicht versteht das nur,
wer selbst Kinder hat –
aber das ist für mich einer der härtesten Momente des Vaterseins:
Zu merken,
wie instabil meine eigenen Werte werden,
wenn ich sie mit einfachen Worten erklären muss.
Vielleicht war es den Rechten so einfach,
in die Köpfe unserer Kinder zu kommen –
vor allem in die unserer Söhne –,
weil wir kein gutes Gegenbild anbieten konnten.
Die Rechten sagen:
„Komm, wie du bist. Sei einer von uns.“
Und wir sagen:
„Du bist erst einer von uns,
wenn du Machtkritik verstanden hast,
dich reflektiert hast,
dein Privileg eingeordnet hast.“
Aber wie erklärst du das einem Achtjährigen?
Einem Kind, das gerade anfängt, die Welt zu sortieren.
Das dazugehören will, gesehen werden will, stark sein will.
Und das jeden Tag beobachtet,
dass in der Realität genau das Gegenteil zählt:
Lautsein. Sich durchsetzen. Nicht weinen.
dies alles und nicht der Zweifel.
Die Rechten bieten Zugehörigkeit für Jungen und Männer.
Wir bieten Bedingungen.
Sie bieten Haltung.
Wir bieten Korrektur.
Und ich weiß, warum wir das tun.
Weil wir es ernst meinen.
Weil wir keine einfachen Antworten geben wollen.
Weil wir glauben, dass Sprache Verantwortung trägt.
Aber Jungen, die nach Orientierung suchen,
finden dann doch schneller zu Jordan Peterson und anderen
als zu uns.
Weil dort jemand sagt:
„Du darfst kämpfen.“
„Du darfst führen.“
„Du bist nicht falsch.“
„Du darfst stark sein.“
Und wir?
Wir reden davon,
dass Stärke auch Schwäche sein kann –
aber wir haben kein Versprechen,
das sie trägt.
Und auch zu wenige Methoden,
die Jungen dahin führen,
wo sie stark sein dürfen –
ohne hassen zu müssen.
Die Macht der Rechten,
so denke ich,
speist sich aus dem Vakuum,
das wir selbst mitproduziert haben.
Ein Vakuum an Bildern.
An Sprache.
An Gefühl.
An Zugängen.
Ein Vakuum, das zulassen würde,
dass man Fehler macht.
Sucht.
Scheitert.
Und trotzdem dazugehört. Als Junge und als Mann.
Ein Vakuum,
in dem stark sein auch anders funktioniert –
ohne Dominanz,
ohne Abwertung,
ohne Gewalt.